Bärbel Ricklefs-Bahr – Malerin aus Leidenschaft

(Text: Elke Grapenthin, M.A -Kunsthistorikerin)

Emotionen, Spontaneität und Großzügigkeit

Bärbel Ricklefs-Bahr ist eine Malerin, die viel in ihren Bildern wagt. Sie plant nicht im Voraus, sondern setzt auf ihre Spontaneität.

Die Künstlerin braucht ein gewisses Maß an Freiheit, Großzügigkeit und Unbeschränktheit, um ihrer Vorstellung von Kunst gerecht zu werden. Sie will mit Farben formen, Gegensätze zum harmonischen Einklang führen.

Ohne Zwang oder Druck folgt sie dem eigenen inneren Antrieb und geht ihren Inspirationen nach. Sie arbeitet informell, lässt sich nicht von Regeln oder Stilen einengen. Ihre Kunst entsteht aus dem Malprozess heraus.

Reine Malerei

Sich in ihre Arbeit zu vertiefen ist für Bärbel Ricklefs-Bahr wie Meditation.

Bisweilen trägt sie nur Farben auf die Leinwand auf. Sie beschränkt sich darauf, eine fast ebene Komposition zu kreieren, die Spannung und zugleich Harmonie ausstrahlt.

Schon die Grundierung fällt immer anders aus - mal eher hell, mal  dunkel. Außer Acryl- verwendet sie Airbrushfarben und streut zusätzlich Farbpigmente über die Fläche, die sich optisch und plastisch wie kleine Punkte aus dieser herausheben. Ab und zu tritt Gezeichnetes hinzu, entstehen z.B. mit Kreide ausgeführte feine Linien.

Die ausgewogene harmonische Vielfalt verdeutlicht, dass die Künstlerin neben ihrer Spontaneität bei der Vollendung ihrer Werke doch auf ihre Erfahrung und ihr fundiertes Wissen um die Wirkung bestimmter Mittel und Methoden vertraut. Auf das spontane Agieren folgt das durchdachte Reagieren.

Experiment und Suche

Ricklefs-Bahr schätzt das Experimentieren, den Mal- und Aufbauakt, den Prozess der allmählichen Entwicklung eines Bildes.

Überall ist sie auf der Suche und wird fündig. Das  ist es auch, was sie in ihrer Malerei vorantreibt – sie fühlt sich als Suchende, die sich längst noch nicht alles angeeignet hat, was sich einer Malerin bietet.

Alles, was sich auf die Leinwand aufbringen lässt  und dazu beiträgt, ihre Oberfläche zu verändern, d.h. zu formen, in die Dreidimensionalität zu überführen und auch wieder aufzubrechen, reizt die Künstlerin. Collagen unterschiedlicher Papiere, Stoffe und Pappen, das Einarbeiten von Füllstoffen und der Einsatz von Lösungsmitteln gehören zu ihren Methoden.

Aus der anfangs flachen Malfläche wird allmählich ein Relief, dessen Details in ihrer Reichhaltigkeit kaum auf einen Blick zu erfassen sind.

Abstraktion und Wahrnehmung

Kein Werk gleicht am Ende dem anderen. Bilder verhaltener Farbigkeit  wechseln sich ab mit solchen von leuchtendem Kolorit oder in Pastelltönen. Es gibt zudem Kompositionen, in denen Gegensätze wie das Verhaltene und das fast Aufdringliche vereint sind.

Weiß und  Schwarz gesellen sich hinzu, verstärken oder begrenzen je nach Platzierung und Ausdehnung die Strahlkraft der Primärtöne.

Die Formen variieren ebenfalls. Neben kleineren geometrischen Figuren und wie Füllsel wirkenden Buchstaben oder Zahlen beleben völlig frei aus der Farbe heraus entwickelte abstrakte Gebilde von unterschiedlicher Größe die Leinwand. Oft heben sie sich plastisch von einem weißen Hintergrund ab.

Auf Umrisslinien verzichtet die Künstlerin. Sie bevorzugt weiche Ränder, die bisweilen leicht ausfransen. Einige der Farbformen gehen in andere über, verbünden sich und gewinnen dadurch an Substanz und Geltung.

Allein aufgrund der unterschiedlichen Farbwerte und -charaktere ergeben sich eine erstaunliche Tiefe und Räumlichkeit, ein Vor- und Hintereinander der Formen. Kompaktes und Filigranes stehen sich im Raum gegenüber und überlagern sich.

Trotz der Abstraktionen meint man doch hier und da auf Gegenständliches zu stoßen: Gesichter, Körperteile, Abbruchkanten einer Landschaft oder eine tiefe Schlucht.

Unsere Erfahrungen und Erinnerungen lassen sich nicht einfach ausblenden. Der Verstand schaltet sich beim Betrachten von Bildern mit ein, beeinflusst die Wahrnehmung. So sucht unser Auge auch in informeller Kunst unwillkürlich etwas, was wir kennen -  und wird in den reich ausgestatteten Materialbildern von Bärbel Ricklefs-Bahr schnell fündig.

Die auffällig strukturierten und erhabenen Oberflächen ihrer Werke erinnern an die aus vielen Schichten bestehende Erde mit ihren Vertiefungen und Anhöhen. Sie wirken, als seien sie schon alt und von der Zeit geformt. Spuren von Verletzungen, Narben und Verwitterung zeichnen sich auf diesen ab. Man entdeckt Einschlüsse von Steinen und Metallen sowie Abdrücke, die auf Leben hinzuweisen scheinen.

Neben raueren und stumpferen Flächen sieht man auch glänzende oder schillernde –  als entdecke man Spiegelungen auf Gewässern oder das Aufleuchten von Kristallen auf verschneiten Feldern im Sonnenlicht.

Die Materialbilder von Bärbel Ricklefs-Bahr laden uns ein, in ihnen auf Entdeckungsreise zu gehen – auf eine lohnenswerte und kurzweilige Reise, die unsere Gefühle anspricht und viel Abwechslung bietet.

„An gegenständlichen Darstellungen haftet immer mehr oder weniger Erdenschwere, und ihre Schwingen sind nicht frei. Auch enthält Gegenständliches Bestimmbarkeit auf seine begrenzte Art, während Abstraktes nicht bestimmbar eng bleibt.“

D.h., „dass das abstrakte Gebiet so bedeutend und umfassend ist, wie es die gegenständliche Welt nur mit größter Mühe und Anstrengung werden kann.“

Aus: Hans Sedlmeyer, Verlust der Mitte, 1948